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Kloßproduktion

7. November 2009

U2 – 05. November 2009 – Berlin, Brandenburger Tor

Das Brandenburger Tor ist schon ein staatstragender Ort. Barack Obama durfte seine Rede im Juli 2008 nicht vor dem Tor halten, welches alle Welt mit den Bildern vom 9. November 1989 verbindet, weil er im letzten Jahr kein offizieller Staatsgast, kein gewählter Repräsentant einer Nation war. Demnach sind die vier irischen Musiker von U2 wohl sowas wie von ihren Fans zu ihren Vertretern erkorene Staatsmänner.

In jedem Fall durften U2 im Gegensatz zu Barack Obama, dem späteren, also heutigen, US-Präsidenten vor dem Brandenburger Tor auftreten. Im Rahmen der MTV European Music Awards 2009 und der Feierlichkeiten zum zwanzigjährigen Jubiläum des Mauerfalls wurde eine Ausnahme für den Pariser Platz erlassen. Eine Woche zuvor angekündigt konnten Tickets unpersonalisiert bestellt werden – gratis. Natürlich brachen reihenweise die Verbindungen zusammen, aber mit etwas Ausdauer konnte man Karten ergattern. Dieser völlig unverständliche Aufwand bei einem kostenlosen Konzert an einem Ort, bei dem man auf eine Zuschauerbeschränkung auch einfach hätte verzichten können, war umso sinnloser, da Berichten zufolge nachträglich ohnehin viele Zuschauer ohne Tickets in den abgezäunten Bereich gelassen wurden.

Diesen ganzen Zirkus mal außer Acht gelassen: Es war fantastisch.

Das Brandenburger Tor mit "One Love"-Projektion

Kitsch, lass nach! Obwohl, noch einen Moment...

Nachdem U2 schon im Sommer mit ihrer 360°-Tour im Olympiastadion waren und ein Konzert spielten, für das es im Englischen das schöne Wort mind-blowing gibt, testeten sie auch bei ihrem Kurzauftritt – 20 Minuten waren angekündigt, 30 Minuten wurden es – das technisch Mögliche. One bildete den Auftakt des sechs Songs kurzen Sets und wartete mit spektakulären und gelinde gesagt hübsch anzusehenden Projektionen auf das Tor auf (Videos s.u.). Die Worte „WEST“ und „OST“ links und rechts der Quadriga wurden zu „One Love“. Sterne, der amerikanischen Nationalflagge nachempfunden, und Hammer-&-Sichel-Symbole, erkennbar der sowjetischen Flagge entlehnt, trafen sich und tanzten über das Gemäuer bis sich schließlich alles in gelben, im Kreis angeordneten Sternen auf blauem Grund vereinigte, die wiederum Herzen formten – analog zum wahr gewordenen Traum eines vereinten Europas.

Möglicherweise bin ich ja der einzige, der so denkt, aber ich kann von diesem pathetischen Kitsch rund um den Mauerfall gar nicht genug bekommen. Wer zur Hölle hätte sich so einen Moment vor zwanzig Jahren auch nur in den kühnsten Träumen vorstellen können?! Niemand! Es geht mir heute noch so, zu jung, um damals dabei gewesen zu sein, dass ich völlig sprachlos werde, wenn ich Bilder von damals sehe.

Es geht nicht darum, dass damals ein Land (wieder)vereinigt wurde. Es geht darum, dass die pure Gewalt, manifestiert durch Beton, Waffen, die Grenze und eine heute unvorstellbare Undurchlässigkeit durch positive Kraft, durch puren Willen zum Guten und Gerechten überwunden wurde. Und dass dies friedlich ablief, ist so unglaublich, ist so fucking mindblowing, dass einem die Worte fehlen. Lennonesk quasi.

Klar, U2 haben an diesem Abend ganz platt mit diesem Gefühl gespielt, aber das hat schlicht und ergreifend sehr gut funktioniert und führte zu erhöhter Kloßproduktion in dem einen oder anderen Hals der Anwesenden. Dass zu Sunday Bloody Sunday Jay-Z auf die Bühne stolzierte, steht da absolut im Schatten, abgesehen davon, dass man das musikalische Ergebnis auch zweifelhaft finden kann. Dass mit One zu Beginn des Sets das Pulver der Licht-Show auch ein wenig verschossen war, wiegt ebenso wenig.

Selten hat Beautiful Day besser gepasst als in dieses Set (noch mal so viel Pathos, tsts) und ehe man sich versah, waren die dreißig Minuten auch schon wieder um. Als Markus Kavka die Zuschauer nach der kostenlosen halben Stunden mit „einer der größten Bands des Planeten“ verabschiedete, gab es nicht wenige enttäuschte Pfiffe, die gerne mehr gehabt hätten. Da waren sie wieder bei Sinnen, die Berliner mit ihrer sprichwörtlichen Herzlichkeit und Bescheidenheit.

Setlist:

One
Magnificient
Sunday Bloody Sunday
Beautiful Day
Vertigo
Moment Of Surrender

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