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[Interview] Frank Turner: „Es ist ein Traum, das tun zu können“

17. Juni 2011
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Always on the road: Frank Turner (Foto: Epitaph)

Always on the road: Frank Turner (Foto: Epitaph)

England Keep My Bones ist draußen, eine Solo-Tour durch Großbritannien gerade absolviert und der Festival-Sommer vor der Tür. Dazu kommt über den Sommer verteilt mehr als eine Hand voll Headline-Shows und ganz nebenbei supporten Frank Turner und seine Band auch noch Social Distortion auf deren Europa-Tour, wann immer eine Lücke im Plan frei war. Außerdem kämpfen sie gegen Widrigkeiten wie fehlende Stromversorgung für den Tourbus, wie mir Tourmanager Graham erzählt, als er mich ins Innere des Busses führt. Am ersten der drei Tage in Berlin hatte es hier schlappe 42°, weil die Klimaanlage nicht mit Strom versorgt werden konnte. Mittlerweile funktioniert aber alles.

Bevor der Sommer für Frank Turner & The Sleeping Souls so richtig losgeht, sollte Frank sich aber den Gefallen tun und einmal richtig ausschlafen. Er gibt freimütig zu, dass er völlig müde ist. Der letzte Off-Tag liegt mehr als einen Monat zurück, als ich ihn vor der dritten Support-Show für Social D im Huxleys treffe. Seine Augen sind winzig, er ist hibbelig, kaut auf den Fingernägeln und sagt sehr häufig und sehr schnell „D’uknowwhatimean“? In wenigen Minuten soll er Mike Ness für eine Fernsehshow interviewen. Und trotzdem ist er überaus freundlich, unerwartet gesprächig und nimmt sich die Zeit für meine Fragen.

akkordarbeit: Frank, wie läuft die Tour mit Social Distortion bisher?

Frank Turner: Es ist toll, wir waren letztes Jahr in Amerika ja schon zwei Monate mit ihnen auf Tour. Das war eine schöne Zeit und ganz ehrlich eine meiner Lieblingstouren bisher.

Und trotzdem schienst du gestern ein bisschen schüchtern zu sein, als du für ein Lied mit auf die Bühne gestiegen bist.

Social D sind eine der Bands, die ich schon gehört habe, als ich aufgewachsen bin, eine der großen klassischen Punk- und Rock’n’Roll-Bands. In ihrer Gegenwart fühle ich mich wirklich demütig. Aber das Touren ist super, sie sind gute Typen, ihre ganze Crew ist cool.

Wessen Idee war es, dass du gestern einen Song mit Social D gesungen hast?

Wir haben das in Amerika schon ein paar Mal gemacht… Es ist schon komisch, ich will ja nicht zu viel darüber mutmaßen, wie die anderen ticken, aber es scheint mir so, dass Mike nicht allzu gut auf das White Trash Album, mein Lieblingsalbum von ihnen, zu sprechen ist. Als wir die Tour in den Staaten damals begonnen haben, hatten sie keinen einzigen Song von diesem Album in der Setlist. Dann haben wir jeden Tag gequatscht und zum Ende der Tour gab es jeden Abend drei oder vier Songs von dem Album zu hören. Nachdem sie die Songs ein paar Mal im Set hatten, kam Mike auf mich zu und fragte, ob ich nicht Lust hätte, einen Song mit ihnen zu singen. Ich meinte nur: “Ok… Fuck Yeah! Awesome!“ Es macht mich wieder ein Stück weit zum Fanboy, weil Down Here (With The Rest Of Us) mein Lieblingssong von ihnen ist.

Am ersten Tag habt ihr euer Set mit dem Social D Drummer beendet, gestern bist du zu ihnen auf die Bühne gekommen und außerdem hat gestern noch Nigels Sohn Drums gespielt. Das hat er  auch echt gut gemacht, obwohl er so aufgeregt war. Es sieht wirklich so aus, als wäret ihr eine Familie auf Tour.

Das war so cool gestern! Er hat das so gut gemacht! Und ja, wie gesagt, wir haben ja schon acht Wochen geübt. Heute versuche ich noch, Jonny (Anm.: Wickersham, Gitarrist bei Social D) für das Mundharmonika-Solo in I Still Believe zu gewinnen. Er meinte zwar, er hätte noch nie im Leben Mundharmonika gespielt, aber das macht ja nichts. (noch eine Anm.: hat geklappt.)

Lass uns über das neue Album sprechen. Du versuchst also der Weltherrschaft mit einem Album namens England Keep My Bones näher zu kommen, mit Songtiteln wie Wessex Boy und English Curse. Das ist also dein Plan, ja?

Weißt du, ich habe mir gedacht, wenn Springsteen eine Karriere darauf aufbauen kann, über New Jersey zu singen, dann… ich meine, England ist größer als New Jersey und genauso ein Loch… Nein, Quatsch. Aber dass Jersey ein Loch ist, stimmt. (lacht)

Frank Turner - "England Keep My Bones" (Xtra Mile / Epitaph /VÖ: 03.06.11)

Frank Turner - "England Keep My Bones" (Xtra Mile / Epitaph /VÖ: 03.06.11)

Im Ernst, das Album ist toll geworden. Du hattest ja schon immer Songs mit Bezug zu England, ob nun Thatcher Fucked The Kids oder Barabara Allen im Live-Set, aber unter den neuen sind besonders viele. Rivers zählt auch noch dazu. Wirst du die auch im Ausland spielen?

Es gibt da generell Hindernis und keine Regel für mich. In Amerika lieben die Leute das sogar. Der einzige Ort, wo es ein bisschen schwierig werden könnte, ist Irland.
Es ist ja aber auch so, dass ich es zu keinem Zeitpunkt irgendwie nationalistisch klingen lassen will, verstehst du? Die Lieder sagen ja nicht mal, dass England fantastisch und perfekt ist, denn das ist es ja auch nicht. Viele Dinge in England pissen mich an. Es ist eher ein Fragenstellen als ein Antwortengeben über England.

Für mich als Hörer wirkt es vielmehr, als sängest du schlicht über deine Heimat. Du hast es sicher schon häufiger erklärt, aber wie kam es zu diesem starken Fokus? War es das viele Touren im Ausland?

Ganz bestimmt, ich verbringe einfach nicht mehr viel Zeit in England. Manchmal bekomme ich also ein bisschen Heimweh. Und ein anderer Grund ist, dass ich keinen festen Wohnort habe. Ich verbinde mit Heimat also keinen bestimmten Ort, kein Zimmer, kein Haus, sondern eher England per se.
Das ist wohl eine Sache, die Folk-Musik für mich interessant macht: diese geografische Anbindung. Menschen singen über ihr Land. Wie in This Land Is Your Land. Ich mag das einfach.

Ein Wort, das mir immer in den Sinn kommt, wenn ich deine Musik höre, ist Ehrlichkeit.

Ich bin froh, dass du das sagst. (lacht)

Lieder wie Father’s Day und Long Live The Queen sind bewegend und gleichzeitig fast schon schmerzhaft für den Hörer. Auf dem neuen Album gibt es den Song Redemption, der den Songs in dieser Hinsicht meiner Meinung nach am nächsten kommt. Ich frage mich immer: Wie ehrlich kann man sein auf einer Aufnahme? Wie weit darf man gehen? Wie persönlich oder wie intim darf es sein?

Es kommt darauf an, was du meinst. Nehmen wir auf der einen Seite den Song Father’s Day: Der ist ja gar nicht so detailliert, was meine persönliche Vergangenheit angeht. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Song unehrlich wäre. Alles, worüber ich dort singe, ist wahr. Aber der Song erzählt nicht unmittelbar, was in meiner Familie passierte. Wenn es um persönliche Angelegenheiten geht, versuche ich nicht allzu detailreich zu sein, weil ich erstens, keine persönlichen Informationen über Personen, die darin involviert sind, in die Welt hinausposaunen will, und zweitens, ein bisschen Privatsphäre für mich behalten muss.
Aber wenn es um die Emotionen geht und wie ehrlich diese gemeint sind, ist es hoffentlich immer so ehrlich wie ich nur sein kann. Zu einem gewissen Grad ist das kathartisch.
Father’s Day habe ich vor langer Zeit geschrieben und es ist immer noch verdammt schwer für mich, den Song zu singen, weil es um eine schlimme Zeit in meinem Leben geht.
Das ist es, wonach ich suche und was großartige Musik für mich ausmacht: Nicht unbedingt Ehrlichkeit, was das geschriebene Wort betrifft, sondern etwas auszudrücken, das in deiner Seele brennt und das, einmal ausgesprochen, unwiderrufbar ist.

In einem Guardian-Artikel über dein neues Album wirst du zitiert mit den Worten, dass du gelernt hättest, Textzeilen, die dich zusammenzucken lassen, eher zu behalten anstatt sie rauszustreichen, weil sie etwas Wichtiges berühren. Das ist doch masochistisch.

(lacht) Ja, vielleicht. Aber was ich damit wirklich sagen wollte, ist, dass ich versuche, nicht den einfachen Weg einzuschlagen. In Redemption zum Beispiel ist diese Zeile, in der ich singe, dass ich jemanden in einem Restaurant im Winter zurücklasse. Als ich beim Schreiben darüber nachdachte, wurde mir klar, dass es einfach zu viel wäre, den Grund dafür auch noch in den Text einzubauen. Dennoch wollte ich es mir nicht so einfach machen, die Zeilen wieder zu streichen. Es ist verdammt schwer für mich, diese Zeilen zu singen.

Kannst du generell sagen, wie viele der Charaktere, über die du singst, fiktional und wie viele von ihnen echt sind?

Sie sind zu einem gewissen Grad alle echt. Mit einer Ausnahme: Balthazar Impresario (Anm.: ein Bonustrack auf der Ltd. Edt. des neuen Albums). Der ist erfunden. Aber er basiert auf echten Personen, auf Musikern, die in den 50ern verstorben sind.

Justin Young im gelben Hemd mit seinen Kollegen von The Vaccines (Foto: Leon Diaper)

Justin Young im gelben Hemd mit seinen Kollegen von The Vaccines (Foto: Leon Diaper)

Wie reagieren die Menschen darauf, wenn du über sie singst? Ich meine nicht unbedingt die Personen aus Redemption oder Father’s Day, sondern zum Beispiel den Justin aus I Knew Prufrock

(unterbricht) Weißt du, wer das ist?

Ich habe gelesen, dass es der Justin von den Vaccines sein soll.

Ja, heute singt er bei The Vaccines. Er hatte mal ein Solo-Projekt namens Jay Jay Pistolet, wir haben ihn auf Tour supportet. Und er kommt auch aus der Nähe von Winchester. Ich glaube, er fand das ganz cool mit dem Song. Er hat sich zumindest nicht beschwert.
Die einzige Abweichung von der Wahrheit, die ich mir in Songtexten erlaube, ist, dass ich gelegentlich den Namen von Menschen ändere, über die ich singe. Amy aus Reasons Not To Be An Idiot und I Am Disappeared heißt zum Beispiel nicht wirklich Amy. Ich sag dir aber nicht ihren richtigen Namen, sonst wäre sie sauer. (lacht)

Sollst du auch gar nicht, lass uns am besten das Thema wechseln. Auf deinen letzten Konzerten ist mir aufgefallen, dass immer mal wieder Shouts von dir zu hören waren. Also wollte ich dich fragen, ob du es vermisst, in einer Hardcore-Band zu spielen. Und heute, kurz bevor ich losgefahren bin, habe ich ein Interview mit dir gelesen, in dem du gesagt haben sollst, dass du ein Hardcore-Projekt namens „Hammerzeit“ planst.

Ja, denk dir ein „Halt!“ davor. Verstehst du?

Ähm. Nein.

„Stop – Hammer time!“ Kennst du nicht MC Hammer? (fängt an die Basslinie von Can’t Touch This zu singen)

Hier, schau, ich habe mir vorher wortwörtlich aufgeschrieben: „You must be joking and if not – tell me more.“

Naja, das ist der Witz hinter dem Namen. Ich habe darüber schon mit ein paar Leuten gesprochen, die Frage ist eher, wann ich Zeit dafür finden soll. Die habe ich momentan einfach nicht. Aber ich würde gerne wieder in einer heavy Band spielen.

(Graham kommt rein und informiert Frank über den nächsten Termin in Mikes Umkleide, vermutlich das Interview)

Dein Tourplan für den Rest des Jahres ist verrückt. Du bist der am meisten tourende Musiker, den ich kenne. Ernsthaft: Wird dir das nie zu viel? Du hast ja gesagt, dass der letzte Off-Tag der 1. Mai war. Wird das nie zu anstrengend oder zu viel langweilig? Und wie macht deine Stimme das mit?

Foto: Epitaph

Foto: Epitaph

Natürlich gibt es Tage, an denen man sich auf Tour langweilt, oder an denen man verdammt müde ist und am liebsten nicht weiterfahren möchte. Aber ich habe viele beschissene Jobs gehabt, bevor ich mit der Musik angefangen habe und diesen Job hier wollte ich immer machen. Es ist ein Traum, das tun zu können. Und ich habe mich nun mal entschlossen, so zu leben, also will ich mich darüber auch nicht beklagen.
An den allerschlimmsten Tagen falle ich in eine Art Winterschlaf und konzentriere alle verfügbare Kraft einfach auf die Zeit, in der ich auf der Bühne stehe. Es ist tatsächlich möglich, sich auf diesen Zeitraum zu fokussieren und für den Rest des Tages eben ein Zombie zu sein. Es macht nicht viel Spaß, aber es ist machbar.
Wenn ich es wirklich nicht tun wollte, könnte ich meinen Booking Agent anrufen und ihr sagen, dass ich alle drei Tage einen Off-Tag will oder nächstes Jahr nicht im Januar, Februar und März touren möchte. Sie wäre vielleicht angepisst, weil wir eigentlich noch einiges vorhaben, aber ich könnte es tun.
Was die Stimme angeht: Es ist eine Frage der Übung. Ich habe auch Bad Voice Days. Ich rauche nicht und bemühe mich genug zu schlafen. Wir haben Honig, Zitrone, Tee und so weiter dabei, aber das wichtigste ist für mich, ausreichend lange zu schlafen und viel Wasser zu trinken. Das ist auch wichtiger als die Frage, ob ich abends trinke oder nicht. 

Ein Wort noch zu deinem Konzert in Poznań. Es muss besonders für dich gewesen sein, mal wieder vor so wenigen Menschen aufzutreten. Weil ich momentan in Warschau wohne, muss ich dich auch fragen, ob eigentlich mehr geplant ist in Polen.

Ja, definitiv. Ich war zwei Mal in Polen, zwei Mal im gleichen Club und beide Male war es super. Ich will definitiv in Krakau und Lublin spielen, Warschau auch. So bald wie möglich.

Ich war gespannt, ob du Glory Hallelujah in Polen spielen würdest und du hattest den Song dann im Set. In der Ansage meintest du, ihr hättet vorher darüber diskutiert, ob ihr ihn spielen solltet oder nicht – mit wem und wie verlief die Diskussion?

Naja, im Grunde hat uns Maciej, der die Show mehr oder weniger organisiert hat, gebeten, den Song zu spielen. Die Leute schienen das Lied zu mögen, das war schön. Ich habe niemanden weinend den Raum verlassen sehen.

Es ist zwar nicht die gleiche Kategorie wie Polen, aber was machen eigentlich deine Usbekistan-Pläne?

(lacht) Leider klappt das nicht. Ich habe aus heiterem Himmel eine E-Mail bekommen mit der Frage, ob ich auf einem Festival in Usbekistan spielen möchte. Die kam vom usbekischen „Nationalen Kunstrat“ oder irgend so einem offiziellen Gremium.
Ich weiß nur ein bisschen über diesen Teil der Welt, aber ich weiß, dass Islom Karimov eine verdammt böse Figur ist und ich wollte nicht dort hinfahren und dann auf einer Plattform für einen mörderischen Diktator landen. Aber auf der anderen Seite will ich nun mal Musik spielen. Also habe ich Kontakt zu einigen Dissidenten aufgenommen. Akademiker, Exilanten, Aktivisten und solche Leute aus Usbekistan. Und seltsamerweise sagten alle, dass ich dort spielen sollte. Sie meinten, Karimov sei schlecht, aber es sei besser hinzufahren, als nicht hinzufahren. Also entschied ich mich dafür, aber dann eröffneten mir die Organisatoren, dass ich Flüge, Unterbringung und Equipment selbst bezahlen müsste und das kann ich mir leider absolut nicht leisten. Unter 20.000 Pfund wäre da nichts zu machen gewesen und das geht leider einfach nicht.
Jetzt muss ich aber rennen.

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast!

Danke für die Fragen!

Die aktuellen Tourtermine, darunter die Support-Shows für Social Distortion in Hamburg, findet ihr hier.

3 Kommentare leave one →
  1. 17. Juni 2011 12:55

    Tolles Interview! Danke dafür! :)

  2. 17. Juni 2011 13:17

    Sehr schönes Interview! Hat Spass gemacht es zu lesen. Toll dass es noch Interviews von Fanboy zu Fanboy gibt ;)

  3. 17. Juni 2011 13:22

    Wunderbar, klasse Interview, wie immer ein sympathischer Künstler.

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