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AC/DC: Der größte Kindergeburtstag der Welt

4. Juli 2010
by

AC/DC + Volbeat + Boon
22. Juni 2010 – Berlin, Olympiastadion

Achja, da war ja noch was. Die größte Rockband der Welt hat kürzlich in Berlins Olympiastadion Halt gemacht und den größtmöglich vorstellbaren Kindergeburtstag veranstaltet. Schuluniformen, Eisenbahnen und Brüste spielten dabei tragende Rollen. Doch von vorn:

Chronistenpflicht mit Profiausstattung nachgekommen: Boon auf der Bühne. Da gaaanz hinten.

Chronistenpflicht mit Profiausstattung nachgekommen: Boon auf der Bühne. Da gaaanz hinten.

Pünktlich wie die Maurer beginnen Boon ihren Auftritt als Supporter und man muss zumindest Respekt dafür aufbringen, dass sie sich nicht in die Hosen machen vor einem größtenteils leeren Stadion zu spielen, was ja ein ambivalentes Vergnügen ist – die Schüssel sieht leer aus, zählt man jedoch die Leutchen, die sich bereits im Innenraum versammelt haben, kommt man bestimmt auf über 25 000. Mit der tiefstehenden Sonne im Rücken spielen sie, was sie können, und werden von den meisten als Störfaktoren für ihre Gespräche wahrgenommen. Das Publikum dreht der Bühne, und vor allem der Sonne lieber den Rücken zu.

Der Schlusspunkt des Sets in Form der Patti-Smith-Kamelle Because the Night, den sie mit einem Gastshouter darbieten, erntet dann allerdings – erschreckenderweise – sehr gute Resonanz. Das zeigt schon mal, von welchem Schrot das Publikum heute ist. Vom Grundschüler bis zur oldieradiohörenden  Rentnerin ist alles da, was die 80 Euro zusammenkratzen konnte und eine Karte bekommen hat. Da klatscht man schon mal heftiger, wenn man nach lauter Lärm auf einmal etwas erkennt. Auf jeden Fall freuen sich alle auf ein Feuerwerk an infantilem Schmu.

Das Glück der hinter den Stadionmauern verschwundenen Sonne: Volbeat und ein Publikum, das zuschaut

Das Glück der hinter den Stadionmauern verschwundenen Sonne: Volbeat spielt, der Rest lauscht

Bis es so weit ist, darf aber Volbeat noch für eine knappe Stunde ran. Anfangs mit Gitarrensound-Problemen kämpfend, erspielen sich die Dänen beim eher wenig euphorischen Oldie-Volk zumindest Sympathien, als sie The Sad Man’s Tongue dem kürzlich verstorbenen Ronny James Dio widmen. Ort und Veranstaltung sind sicher nicht unbedingt optimal, um zu experimentieren, aber neben einigen Songs des aktuellen Langspielers Guitar Gangsters & Cadillac Blood gibt es auch einen vom kommenden Album sowie den im letzten Jahr online veröffentlichten A Warrior’s Call zu hören. Ihre Supporter-Qualitäten haben die Dänen anno 2009 ja ausführlichst im Vorprogramm von Metallica beweisen dürfen und die Alt-Metaller, Rockmuttis und Familienväter kommen auch hier langsam auf Betriebstemperatur.

Alles bisher Gesehene ist aber natürlich kein Vergleich zu dem, was nun folgt. Das Intro nimmt vorweg, wie wunderbar pupertär diese Männer, die noch älter aussehen, als ihr Pass sagt, geblieben sind. Man verfolgt auf der Leinwand Zeichentrick-Teufel Angus, der mit dem Rock’n’Roll Train unterwegs ist. Bei seiner Tätigkeit im Führerstand wird er von zwei knapp bekleideten Kampf-Amazonen heimgesucht, die ihn erst an- und dann verheizen, um im Anschluss  in flatternden Miniröcken und mit prallen Lippen den Bremsknüppel zu bearbeiten – Kopfkino beabsichtigt. Kurzum: Die Mädels brechen den Knüppel ab und machen sich aus dem Staub. Angus muss sich mit seiner Gitarre retten und verbringt lieber die nächsten zwei Stunden spielend, rennend, Grimassen schneidend und strippend auf der Bühne und dem endlich zum Einsatz kommenden Laufsteg.

Ein weiterer Beitrag zur Reihe Super-Handy-Konzertfotos: Die Pause vor der Zugabe

Ein weiterer Beitrag zur Reihe Super-Handy-Konzertfotos: Die Pause vor der Zugabe

Brian Johnson versprüht in seiner Jeans-Kluft und mit der Kappe auf dem krausen Haupthaar den Charme eines Hauptdarstellers aus einem 80er-Jahre-Trucker-B-Movie. Malcolm Young und Cliff Williams üben sich mehrfach im Synchron-zum-Mikro-und-wieder-zurück-Laufen. Und Phil Rudd spielt so unverwechselbar grandios monoton und mit unbewegter Miene, dass man fragen möchte, ob es ihn völlig kaltlässt, zu sehen, wie sich 70 000 Menschen in Jubel vereinen. Die fünf Australier funktionieren gut geölt und unspektakulär – mit Ausnahme von Lead-Gitarrist Angus, der wie ein Derwisch über die Bühne fegt und nicht nur funktioniert, sondern Hauptrolle, Animateur und Maskottchen in Einem abgibt.

Eine Dampflok als Bühnenbild? Warum nicht! Eine aufblasbare Frauenpuppe namens Rosie, die darauf reitet? Ja, bitte! Soll Angus einen Duckwalk machen? Na klar! Ein strippender Gitarrist und sich entblößende Frauen im Publikum, dazu Konfetti, Hebebühne und Monsterbasecaps auf den Lautsprechertürmen? Ja! Ja! Ja! Wie konnte man vorher nur ohne leben, fragt man sich, während vier Fünftel der Band so tun, als sei das Alltagsgeschäft. Ok, es ist für sie Alltagsgeschäft. Und ab und an merkt man das leider auch. Als Johnson Black Ice ankündigt, wundert sich das Rund, da der Song schon einige Slots im Sets früher gespielt wurde. Kein Lachen, keine Korrektur, keine Interaktion zwischen den fünfen – die Setlist steht so fest wie die Grundmauern des Olympiastadions und wird mit War Machine korrekt weiter durchgegangen. Das bleibt aber der einzige bittere Beigeschmack. Als Angus den letzten Song zur 20-minütigen Guitar-audience-call-and-response-Orgie ausbaut, denkt niemand mehr daran. Oh, Let There Be Rock.

Die AC/DC-Setlist (Quelle):

1. Rock N‘ Roll Train
2. Hell Ain’t a Bad Place to Be
3. Back in Black
4. Big Jack
5. Dirty Deeds Done Dirt Cheap
6. Shot Down in Flames
7. Thunderstruck
8. Black Ice
9. The Jack
10. Hells Bells
11. Shoot to Thrill
12. War Machine
13. High Voltage
14. You Shook Me All Night Long
15. T.N.T.
16. Whole Lotta Rosie
17. Let There Be Rock

18. Highway to Hell
19. For Those About to Rock (We Salute You)

Fotos und Reviews findet ihr u.a. auch beim Metal Hammer und auf metal.de. Tipp: Letzterer Text und die dazugehörigen Bilder sind von Andrea Friedrich, die auf ihrer Website www.deceitful-tranquillity.de noch viel mehr Fotos aus dem Olympiastadion online gestellt hat. Sehr schön anzuschauen und unter CC-Lizenz!

Presseschau:

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