[Review] Turbostaat – „Stadt der Angst“

Turbostaat – „Stadt der Angst“ (Clouds Hill / rough trade / VÖ: 05.04.13)
„Und es klappt nicht, von außen zu sanieren. / Die Jungen merken das sofort. / Die ganze Stadt ist halber Schutt, / kommt, reißt sie endlich ein!“ Es ist auch auf dem fünften Turbostaat Album nicht die große Eindeutigkeit in den Texten ausgebrochen, aber auf Stadt der Angst sprechen die fünf Nordlichter ihre Themen so deutlich an, wie selten. Welcher Großstädter, der sich ein wenig Gedanken um die Menschen in seiner Umgebung macht, schafft es, bei einer Zeile wie „Eine Stadt gibt auf!“ das Assoziations-Karussel unbetätigt an der Seite stehen zu lassen? So steigt man ein in dieses Album und genauso deutlich steigt man wieder aus. „Der Krieg ist nie vorbei, solange er sich lohnt!“ ist die markerschütternde letzte Zeile, die Sänger Jan herausschreit.
Stadt, Angst, Krieg – das ist der Dreiklang. „Manchmal sollte man nicht glauben, dass das alles so gehört.“ – diese Zeile ist der Ausweg aus dieser fiesen, unwirtlichen Stadt, aus der man wegrennen möchte. Nur sollte man den richtigen Weg wählen und nicht wie Sohnemann Heinz zusammengekauert in Kandahar seinem Leben und seinen Möglichkeiten hinterhertrauern und sich fragen, was der da verdammt noch mal macht! „Selber schuld!“ hat man auf den Lippen, aber so einfach macht es sich Texter Marten nicht. Sie treten nicht noch auf den Jungen ein. Deswegen lässt einen der Song mit so einem unbestimmten Gefühl zurück. Wer hat da eigentlich Schuld? Heinz natürlich, aber haben ihm nicht auch die Eltern gut zugeredet, was für eine Chance das ist? Mit Arbeit sah es auch nicht gut aus und da war das wenigstens irgendeine Perspektive. Warum hat es eigentlich 12 Jahre gedauert, dass so ein Song von einer deutschen Band so klug geschrieben wurde? Eine große, teilweise ausstehende gesellschaftliche Debatte in einem viereinhalb Minuten verarbeitet – ganz groß. Ganz beim Menschen und doch hochpolitisch.
Hier, wo der Friesendelf die Jahrhunderte überdauert, wo alles konfus bleibt, ist man auch mal für ein klares Wort dankbar. „Das ist scheiße!“ Wenn es irgendetwas zu mäkeln gibt, dann vielleicht, dass man Pestperle am liebsten noch deutlicher gehabt hätte. Liest man die Erklärungen, ist auf einmal alles ganz klar. Und der nächste Referenzpunkt für wirklich relevante Musik der Popkultur gesammelt. Turbostaat haben ein von vorne bis hinten mitreißendes Album vorgelegt, das klug ist, und klug genug, seine Cleverness und seinen Ärger nicht raushängen zu lassen. Bei so viel Stadt und so viel Angst erwartet man an allen Ecken das G-Wort zu treffen. Stattdessen gibt es Zeilen wie „Die Freunde wohnen hier sicher nicht“ oder „Den Wert bestimmt ein Margenmann.“ Manchmal sollte man vielleicht nicht glauben, dass das alles so gehört.
Bewertung: 9/10
Anspieltipps: Phobos Grunt, Sohnemann Heinz, Alles bleibt konfus, Snervt
(Rezensionsexemplar)
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